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>> Poetniks



„Janek Müllers Theaterhaus Weimar erschloss mit seiner „Poetniks“ - Inszenierung nicht allein dem Kunstfest eine bizarre Sicht auf die städtische Peripherie, sondern zugleich deutschen Bühnen einen alten französischen Dramentext ...“
Thüringer Allgemeine, Michael Helbing, 31.08.2002


„Eine Mischform aus Performance und Experimentalfilm ist die Inszenierung, wobei das größere Erlebnis ohne Zweifel vom Film ausgeht, - ein kleines Meisterwerk, gedreht aus 2 Kameraperspektiven.“
Thüringische Landeszeitung, Frank Quilitzsch, 20.08.2002


„Als Maßgabe für politisches Handeln könnte das Resumee von Janek Müllers „Poetniks“ gelten: Ich hatte auf Ideen gesetzt.“
Freitag, Matthias Dell, 31.05.2002


„Es ist eine neue Form von Polittheater, gar Agitprop-Theater, von und für eine melancholische Generation auf der Suche nach ihrem Grund. Wenn fünf Schauspieler eine halbe Stunde im Halbdunkel hocken, während hoch über ihnen filmisch, tragisches Leben abgespult wird, dann erzeugt das einen ungewöhnlich berührenden Zustand des auf sich selbst Zurückgeworfenen.“
Thüringer Allgemeine, Michael Helbing, 19.08.2002


„Zu Grabe tragen die Eroberer in Westernkostümen (...) das Shopping-Center Süßenborn, gelegen 7 Kilometer von Goethes Weimar. Was als absurde Komödie beginnt, gerinnt in „Poetniks“ zur ernsten Satire. Denn die Erinnerungsräume der Dichterstadt enden im Container-Import West Germany.“
Neue Rheinische Zeitung, Isabelle Siemens, 09.11.2002



>> Product Placement


Luxus für alle
Paradoxer VW Scirocco: Der Theaterregisseur Janec Müller möchte die Neunzigerjahre der DDR in Anlehnung an die Achtzigerjahre der BRD erklären - "Product Placement" am Theaterhaus Weimar

Was unbedingt einmal geschrieben werden muss, ist eine Kulturgeschichte dieser Glitzergirlanden, die sich über Parkplätzen flatternd weltweit als Zeichen für "Auto An- und Verkauf" durchgesetzt haben. Wie ist das geschehen? Wann? Wo hingen die ersten, wie erfolgte die Ausbreitung? Ein sehr interessantes Thema, dessen Aufarbeitung jedoch warten muss, denn heute geht es um den Scirocco II. Einen weißen VW Scirocco GT, Baujahr 1985, Kilometerstand 43.757, der im Straßenbahndepot Weimar umrahmt von blau-weißen Glitzergirlanden steht. Was bedeutet: Er soll verkauft werden.

Was bedeutet das: ein Auto zu kaufen? Lebensraumerweiterung, Mobilitätsteigerung, Imagegewinn. Der Käufer darf sich nach Erwerb des Wagens mit Fug und Recht einen neuen Menschen nennen. Woran der Kommunismus über Jahrzehnte vergeblich gearbeitet hat, gelingt dem Kapitalismus hier sozusagen als Abfallprodukt. Großartig. Und ist noch gar nicht alles: Inmitten blühender Einkaufszentren und Doppelhaushälften, so hat man es am Theaterhaus Weimar beobachtet, vollzieht sich nun auch im Osten die "deutsche Heimaterfindung im Erlebniskonsum". Dies ist dein Land.

"Product Placement", der erste Teil des als Trilogie angelegten Scirocco-Projekts von Janek Müller/Theaterhaus Weimar, ist laut Eintrittskarte "ein Video- und Vortragsevent über das Gesetz von Angebot und Nachfrage, über Zeitverschiebung und Konsumverwirrung". Der Scirocco wurde zum Angelpunkt der Produktionsreihe, da er, so Müller, als knapp 300.000-mal verkaufter "Sportwagen fürs Volk" in den Achtzigerjahren in Westdeutschland so etwas wie "Luxus für alle" symbolisierte. Ein paradoxes Streben, das auch die Neunzigerjahre in Ostdeutschland bestimmte. (...)

Nun ist aber das Schöne am Theaterhaus Weimar (das - anders, als der Name suggeriert - eine freie Gruppe ist), dass dort nicht nur eine Menge Theorie produziert wird, sondern auch Aufführungen, die diese Theorien vergessen machen. "Product Placement" (...) beginnt mit einem ganz wundersamen Video. Das Publikum nimmt zwischen den blau-weißen Glittergirlanden auf jenen weißen Plastiksesseln Platz, die ebenfalls die Welt erobert haben, blickt auf den blitzblanken Scirocco und auf eine Leinwand darüber, die den Scirocco zeigt.

In durchgehend unscharfen Nahaufnahmen wird nun die Geschichte des versuchten Verkaufs dieses Autos bei gleichzeitiger Behauptung einer Zeitreise erzählt. Dabei bleibt der Wagen absolut unbeweglich; allein die Kamera wechselt die Positionen, umkreist das Auto, das offensichtlich hier auf der dunklen Bühne gefilmt wurde. Die zwei Schauspieler sind meist überbelichtet, sodass ihre Konturen ausgeblendet sind. Sie sprechen wenig, blicken viel, lachen unsicher, manchmal schreit einer. Lange Einstellungen zeigen sie einfach in Relation zum Objekt. Holprige Schnitte lassen die Zeit immer wieder um Sekunden zurückspringen. Auf der Tonspur wird ab und an eine wenig befahrene Landstraße suggeriert, dann fehlt plötzlich jede Atmo, und alle scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Das wirkt wie eine kinountaugliche Version von "Stranger Than Paradise", die langsam in einen Psychothriller umkippt. Zur Testfahrt wird der Ton aufgefahren, die Kamera geschüttelt; dann fliegen die Darsteller gegen die Windschutzscheibe, und wir sehen blutige Nasen. Natürlich ist dieser mit simpelsten Mitteln behauptete Horror komisch, aber es gelingt dem Film, parallel ein Gefühl von strangeness zu transportieren. Am Ende sprengt der im Grunde verkaufsunwillige Verkäufer den Wagen samt der jungen Käuferin, die sich schon beim ersten Kontakt mit dem Auto in einer Achtzigerjahre-Zeitfalle fühlte, mit schönen Comic-Flacker-Effekten in die Luft.

Das dem Video folgende "Vortragsevent" ist leider nicht so überzeugend. Susann Maria Hempel und Olaf Helbing variieren mit Skript vorm Mikro Textbausteine über Verkaufsstrategien und personalisierte Aufmerksamkeitssysteme. Das will in seiner soziologischen Wucht und Masse René Pollesch persiflieren, doch ist es verdammt schwer, etwas Gutes zu persiflieren, wenn man nicht besser ist.
Die tageszeitung, Christiane Kühl, 27.03.2002