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>> Hunde



„Von der Suche nach Grundsätzlichem, wenngleich in völlig anderen Gefilden, war auch der zweite Beitrag motiviert: Im Hinterkopf die Frage, was nach dem politischen Wandel der letzten I5 Jahre bleibt, reisten der Regisseur Janek Muller und seine Mitstreiter zwei Monate lang durch Europa. Ihre Antwort: Das Hündische. Ob es nun um den einstigen Offiziershochschüler geht, der seit dem Mauerfall Verhaltensforschung studiert, oder um die Frau, die ihrem One-Night-Stand gierig den Rücken leckt; ob jemand sich präpubertärer Sadomaso-Spiele erinnert oder zu analysieren sucht, warum er eigentlich an der grandiosen Geschäftsidee mit der Hundezucht gescheitert ist: Irgendwo zwischen Unterwürfigkeit und Rudelzwang auf der einen und Rohheit, Wildheit auf der anderen Seite ist die Spezies in Ost wie West, Süd wie Nord in jedem Falle zu verorten. Vor allem aber ist "Hunde" eine außergewöhnliche Auseinandersetzung mit den Biografien der, wenn man so will, letzten DDR-Generation: Eine Frau und zwei Männer urn die dreißig, so die vage Rahmenhandlung, verschlägt es nach Jahren zurück in die ostdeutsche Provinz: Die Frau ärgert sich, gerade dann das Haus ihres Vaters hüten zu müssen, wenn eine mittlere Naturkatastrophe den Keller überschwemmt; der Monteur entpuppt sich als ihr ehemaliger, durch väterliche Seilschaften bei der lokalen Firma "Plaschke" untergekommener Mitschüler, und schließlich irrt noch einer, der sich beim Studium in Moskau selbst abhanden gekommen ist, durch die surreale Landschaft, die Peter Wächtler in den Ostflügel gebaut hat. Stärker noch als die anfallartig hereinbrechenden Erinnerungsfetzen ist es tatsachlich der Raum, der diese theatrale Recherche so bemerkenswert macht: ein leerer weißer Kasten mit mittiger Pfütze und Durchgang zu einem entfernten Häuschen nebst Bauschutt- Vorplatz. Ein Katastrophengebiet, eine ostdeutsche "Schrumpfstadt", eine Reverenz an Tarkowskij-Filme? Die Projektionen - so sagt diese White Box gelassen - sind hier absolutfrei wählbar: ein plausibler Kommentar zur grassierenden Klischierungswut der DDR-Vergangenheit in Ost wie West.“
Theater der Zeit, Christine Wahl, 10/05


„Bei allem was ich gestern Abend gesehen habe, fiel die Produktion Hunde vom Theaterhaus Weimar mit dem Text von Janek Müller heraus. Sie wird hier in der Probebühne des HAU3 gespielt. Man blickt in ein leeres Zimmer, man sieht zugleich ein Haus auf einem Styroporgebirge. Das ganze hat anfangs die Spannung eines Thrillers. Eine Frau mit geladener Flinte, ein Handwerker. Diesen Mann verbindet mit einem zweiten, der hinzukommt, von früher her eine sadistisch-masochistische Abhängigkeit, die der eine wieder beleben will. Zugleich gab es eine Verbindung der Frau mit diesem zweiten Mann, der vor Jahren von einem Augenblick auf den anderen verschwunden war. Auch in diesem Stück geht es um öde Orte im Osten, um traumatische Rückkehr und Verstörung. Es geht um die Frage von Gewalt. Die Hunde, die aus dem Haus getrieben wurden, aber wieder zurückkehrten, haben hier eine sinnbildliche Bedeutung. Das ist kein großes Stück, manchmal meint man, hier sei etwas zuviel Hanns Henny Jahnn gelesen worden. Etwas viel Qualm, auch textlich. Aber wie hier eine besondere rätselhafte Atmosphäre geschaffen wird, wie zugleich das Gefühl von Nähe und Fremdheit, Trennung und Wiederbegegnung, im Raum steht – diese Qualität der Aufführung hat mich gestern schon beeindruckt, zumal neben all dem anderen, was ich gesehen habe.“
RBB-Kulturradio am Morgen, Peter Hans Göpfert, 24.09.2005


„Zur Uraufführung ... wanderten die Zuschauer in den Dachstuhl des alten Ostflügels, um einer Inszenierung beizuwohnen, die (...) das Medium Film nicht nur beiläufig nutzt, sondern Kernaussagen in bewegten Bildern platziert. "Mein Lieber, mich reizt vor allem die Frage, wie die Verwilderung eines domestizierten Tieres, eine Umwandlung von Kulturrasse zu, Naturrasse wohl vor sich geht“ - entnimmt man dem entrückten Gespräch zweier Studenten. Eine Frage, die etwas mehr Licht bringt in eine vorangestellte Geschichte, in der eine junge Frau (Susann Maria Hempel) das Haus - irgendwo in der ostdeutschen, verlassenen Provinz - ihres abwesenden Vaters bewacht und sich drei seltsame Begegnungen ereignen. Neben einem Berg aus Styropor-Platten, die sich wie Eisschollen auf ein Modellhaus mit ebenso blütenweißen, unschuldigen Wänden zuschieben, ist ein leerer, scheinbar unbeschriebener Raum, in dem eine Pfütze steht. (...) In einem spannenden – obgleich oberflächlich betrachtet lapidar erscheinenden - Zwiegespräch zwischen ihm (dem herbeigerufenen Gas-Wasser-Monteur) und der jungen Frau entfaltet sich ein großes Spiel um menschliche Abhängigkeiten und Zugeständnisse. (...) Der Dritte im Bunde (Olaf Helbing) ist ein Heimkehrer, hat hier gewohnt und den, Ort ("Schneckenberg"!) für ein Studium in Moskau verlassen. Seine Wiederkehr reißt alte Wunden auf. (...) Und ein weiterer Abgrund, der des einsamen Individuums in einer abstoßenden, kleinbürgerlichen Provinz-Einöde, erfährt seine gar nicht so sehr überzeichnete, aber starke Darstellung, indem die beiden Kerle im sterilen Bauruinen-Ambiente einen Samba zur Handymelodie tanzen. Auf den Hund gekommen. Das ist Autor Janek Müller auch, nur in einem ganz anderen Sinn, denn der Text ist mit all seiner assoziativen Kraft im Nachhinein immer bündig. Dem bereits erwähnten, beinahe schon erklärenden Filmpart (zusätzlich mit Jakub Palacz, Gast vom Theater "Laznia Nova") folgt eine abschließende szenische Verstörung mit viel Hundefell am Leib, der man nur zu folgen bereit ist, wenn man zum Film die Ohren gespitzt und nicht angelegt hat: "Die bloße Wildnis, die wir suchen, steht gegen die bloße Organisation, die wir haben, und der Hund, der zwischen zahm sein und wild sein wechselt, stellt diese Verbindung her zwischen beidem, zwischen Wildnis und Organisation, zwischen bloßer Idylle und bloßer Domestikation."
Dresdener Neueste Nachrichten, Norbert Seidel, 09.09.2005